Die Rückkehr der Atomkraft in Deutschland oder der drohende Verlust eines zusammen-hängenden Denkens?
von Bernd Klane und Ursula Klane
12/2024
Die Attraktivität für eine Neuauflage der Atomkraft in Deutschland nimmt schleichend zu. In der Einleitung dieses Artikels werden Geschehnisse und Maßnahmen vergangener Jahre in der Energie-Politik genannt, die wie Eckpfeiler vor der Gesellschaft stehen und die eine Neuauflage der Atomenergie wie selbstverständlich und als beste Option erscheinen lassen. Im Anschluss werden diese Eckpfeiler mit Details hinterlegt. Abschließend folgen alternative Möglichkeiten.
Einleitung
Seit vielen Jahren deutet es sich für die Autoren an, dass Deutschland in mittelfristiger Zukunft wieder auf Atomenergie zugreifen wird. Damit sind nicht die kurzfristigen opportunistischen Gedankenspiele aus Politik und Wirtschaft gemeint, die immer wieder wie eingestreut in den Medien auftauchen.
Angst vor dem Klimawandel und der Wunsch nach unvermindert hohem Energieverbrauch stellen die Menschheit vor unlösbare Widersprüche. Aus der Angst vor dem Klimawandel und dem Wunsch nach unvermindert hohem Energieverbrauch sind selbstgeschaffene Denkweisen wie Paradigmen entstanden, die wie Eckpfeiler für die Zukunft vor den Menschen stehen.
Längerfristig wird sich ein Zugriff auf Atomenergie nicht vermeiden lassen, wenn folgende selbstgeschaffenen Eckpfeiler stehen bleiben.
Paradigmen oder Eckpfeiler
- Ein Großteil der Welt hat sich verpflichtet, die CO2-Emissionen zu reduzieren, da sonst ein Klimawandel aus dem Ruder laufen würde.
- Deutschland verlagert seit Jahrzehnten, gelenkt von Regierungsmaßnahmen und massiven Subventionen, viele Energieverbräuche hin zum Strom (Vision All Electric Society).
- Atomkraftwerke produzieren CO2-frei Strom in großen Mengen. Die EU hat im Jahr 2022 Atomkraft für nachhaltig erklärt. Die Endlager-Frage – die ein ungelöstes Grundsatz-Problem darstellt – darf man verschieben.
- Eine Versorgung mit eigener Steinkohle hat Deutschland vor Jahrzehnten abgesagt.
Vollzieht man eine Aufsummierung dieser Eckpfeiler, kommt als Ergebnis heraus, dass eine zukünftige Regierung Atomkraftwerke bauen muss und auf die Lösung der Endlagerfrage verzichtet wird. Sie wird andernfalls durch die mittlerweile allmächtige EU schlichtweg verklagt, da sie die vereinbarte CO2- Reduktion nicht erreicht und die fälschlicherweise als nachhaltig bezeichnete Maßnahme Atomkraft nicht wahrnimmt.
Diese Eckpfeiler mit Resumée wird sich der einzelne gut einprägen müssen, weil diese in einzelnen Jahren in „Salami-Taktik“, also scheibchenweise der deutschen Gesellschaft so präsentiert werden.
Zu 1. Erklärungsmodell: Klimawandel ist durch CO2 verursacht
Ein Großteil der Welt hat sich verpflichtet, die CO2-Emissionen zu reduzieren, da andernfalls ein Klimawandel aus dem Ruder laufen würde. Der wissenschaftliche Diskurs, in welchem Umfang ein Klimawandel an dem Parameter CO2 hängt, wird dabei untergeordnet. Auch wie stark ein zukünftiger Klimawandel an weiteren CO2-Emissionen hängt, wird dabei untergeordnet behandelt.
Deutschland wird die „erforderliche“ CO2-Reduzierung auf geraden Wegen, d.h. physikalisch gesehen, nicht erreichen. Es ist abzusehen, dass spätestens die EU Deutschland – und auch andere EU-Länder – regelrecht zwingen kann, in das Atomzeitalter zurückzukehren. Dafür hat die EU-Kommission 2022 sämtlichen EU-Ländern „den Weg geebnet“, siehe Punkt 3.
Andere klimaschützende Maßnahmen werden vernachlässigt. Mit der Reduzierung von CO2-Emissionen hat man sich auf dem Papier als klimaschützend abgesichert.
zu 2. All Electric Society als Mär für Deutschland
Deutschland verlagert seit Jahrzehnten unter Zuhilfenahme massiver Regierungsmaßnahmen viele Energieverbräuche hin zum Strom (Vision All Electric Society), wobei der gesamte Strom grün werden soll. Dafür sind regenerative Stromerzeuger, Großspeicher und entsprechende Verteilungsnetze erforderlich. All Electric Society mag für manch ein skandinavisches Land (Norwegen und Wasserkraft) hervorragend zu realisieren sein – für Deutschland ist es utopisch. Deutschland arbeitet seit Jahrzehnten intensiv und erfolgreich an regenerativen Stromerzeugern, hingegen werden Großspeicher und Verteilungsnetze bisher nur gedacht. Einerseits gibt es derzeit keine Großspeicher-Technologie, die wirtschaftlich auch nur halbwegs akzeptiert werden würde. Andererseits sind Kosten und Baumaßnahmen für Energienetze erschreckend aufwändig. Es gibt Stimmen, die von einer Jahrhundertaufgabe sprechen. Gleichzeitig werden regenerative Energien, die nicht auf Stromverbrauch basieren, als Lösungsweg aus dem Klima-Dilemma erkennbar marginalisiert.
Das wirtschaftliche und finanzielle Chaos, das für die BRD bereits heute entsteht, Stichworte sind „PV-Spitzen im Sommer“ und „Dunkelflauten“, kann man in einem Artikel der Berliner Zeitung vom 20.12.2024 nachlesen unter dem Titel Politik kämpft mit negativen Strompreisen. Für diesen im eigenen Land erzeugten grünen Strom zahlt Deutschland für wenige Stunden teils Millionen, um ihn ins Ausland loszuwerden. Der Zukauf in Dunkelflauten ist teurer.
Warum hat Deutschland nicht längst parallel zu PV und Windkraft Großspeicher gebaut? Es gibt keine Großspeicher-Technologie, die wirtschaftlich akzeptiert wird. Pumpspeicher-Kraftwerke wären eine greifbare, bewährte und wirtschaftlich vertretbare Technologie. Dass man sie nicht baut bzw. vorhandene Kraftwerke nicht saniert, sondern sogar stilllegt, spricht ganze Bände über den wirklichen Willen und die Konsistenz zu einer funktionierenden grünen Stromversorgung in Politik und Wirtschaft. Ein gravierendes Beispiel ist das Pumpspeicher-Kraftwerk Niederwartha bei Dresden. Dieses im unteren bis mittleren dreistelligen Millionenbereich nicht zu sanieren bezeichnete der emeritierte Physikprofessor Sigismund Kobe als Schildbürgerstreich.
Vorstellungen von Batterie-Großspeichern in einem Ausmaß der Erfordernis der All Electric Society können nicht substantiiert werden.
Wasserstoff scheidet in der Massenanwendung für Wärme oder Mobilität ebenfalls aus, obwohl das in der Öffentlichkeit sehr anders dargestellt wird. Die Übertragung von Technikumsanlagen auf großtechnische Anwendung ist nicht in Sicht, das ergaben auch verschiedene Anfragen der Autoren. Frägt man konkrete Fakten und Zahlen an, ist die Korrespondenz und Kommunikation zu Ende. Und das, obwohl diese Technologie seit über hundert Jahren Stand der Technik ist.
Wasserstoff-Erzeugung und Atomkraft lassen sich sehr gut miteinander kombinieren, Wasserstoff-Erzeugung und regenerative Stromerzeugungsanlagen mit ihren Fluktuationen hingegen nicht.
Zu 3. Atomkraft mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringen – krass gelogen?
Atomkraftwerke produzieren CO2-frei Strom in großen Mengen. Die Endlagerung des entstehenden Atommülls ist aber nicht in Aussicht und wird in die ferne Zukunft verlegt. Die EU hat im Jahr 2022 Atomkraft für nachhaltig erklärt, obwohl Atomkraft im wissenschaftlichen Sinn keinesfalls nachhaltig ist und die Endlagerfrage ungeklärt ist.
Um eine „CO2-freie Energieversorgung“ gewährleisten zu können, hat die EU Atomkraft unter der Bedingung als nachhaltig erklärt, falls die Absicht zum Bau eines Endlagers in der Zukunft besteht. Wohlgemerkt reicht eine bloße Absichtserklärung, ein real funktionierendes Endlager ist nicht erforderlich. Laut einer Meldung der Tagesschau vom 2.2.2022 sollen neue Atomreaktoren unter die Taxonomie fallen, deren Baugenehmigung bis spätestens 2045 erfolgt, bis 2050 müsse die Atommüll-Entsorgung sicher geklärt sein. Auf dieser Grundlage werden vermutlich beschleunigte Genehmigungsverfahren durchgepeitscht werden.
Mini-Atomkraftwerke sollen steigenden Energiehunger sättigen
Derweil ist man in der EU hochaktiv, den Weg für kleine modulare Reaktoren zu ebnen. Hinter dem Kürzel SMR (small modular reactor) oder „kleine modularen Reaktoren“ verbergen sich Mini-Atomreaktoren. Damit bedient man die Vorstellung, die Menschheit könnte in der Zukunft unbegrenzt CO2-freien Strom benutzen. Man muss also nicht dem steigenden Energieverbrauch entgegentreten, sondern darf ihn anheizen. Dass diese Mini-Atomkraftwerke Atommüll produzieren, kommt in der gesamten Darstellung nicht vor.
Die Bevölkerung wird mit Sätzen wie „…dient der Absicherung unserer Zukunft,… um die Klimaziele vom Jahr … und Klimaneutralität 2050 zu erreichen…., …. um eine nachhaltige, prosperierende Gesellschaft weiter aufzubauen….“ im Nebel und letztlich in der Nachhaltigkeitslüge gehalten.
Stark radioaktiver Abfall strahlt bis zu 1.000.000 Jahren
…Die Radioaktivität von verbrauchtem Uranbrennstoff erreicht nach rund 200 000 Jahren natürliche Werte. In anderen Worten: …Nach 200 000 Jahren ist die Radioaktivität von abgebrannten Brennelementen aus einem Kernkraftwerk noch so hoch, wie die des einst dazu abgebauten Urans. … Das liest man auf der Internetseite der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle in Wettingen, Schweiz. Diese Genossenschaft legt den Betrachtungszeitraum für das Tiefenlager auf eine Million Jahre fest. Auch in Deutschland beträgt der Sicherungszeitraum für ein Endlager 1.000.000 Jahre.
Welcher Wissenschaftler wollte allen Ernstes diesen ungeheuerlichen Zeitraum sicherheitstechnisch überblicken, geschweige denn verantworten?
Jahrzehntelange Suche nach Zwischen- und Endlagern ohne Ergebnis
Deutschland hat über 60 Jahre Atommüll in Zwischenlagern angehäuft, das Strahlungspotential entspricht dem 1.900-fachen des radioaktiven Materials der Tschernobyl-Havarie. Die Genehmigungen für verschiedene Zwischenlager laufen ab 2034 aus.
Eine Endlager-Suche ist bis heute ergebnislos und unbeantwortet. Prominentes Beispiel ist Gorleben. Gorleben wurde 1977 als Standort für ein Endlager verkündet und der Bau begonnen. Nach jahrzehntelangen Schwierigkeiten und Konflikten ist Gorleben 2020 aus dem jetzigen Standortsuchverfahren ausgeschieden.
In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 29.04.2023 sagt der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König: …..Die offene Endlagerfrage für die gefährlichsten radioaktiven Abfälle ist immer kleingeredet worden. Sie wurde systematisch unterschätzt. Immer wieder wurde erzählt, technisch sei alles gelöst und nur noch ein politisches Problem. Das ist ein großer Irrtum. Endlagerfragen sind hochkomplex und weltweit kaum beantwortet. …
Weiteres Beispiel: Das Atommülllager Asse ist seit Jahrzehnten durch Wassereinbruch gefährdet und muss geräumt werden. Die Bergung des Atommülls soll bis 2033 beginnen und bis in die 2060er-Jahre andauern.
Allein die Standortentscheidung eines Endlagers verschiebt man seit Jahrzehnten, jeweils um Jahrzehnte. In 2024 gab das Öko-Institut in einem Gutachten die Empfehlung ab, die Standortwahl um ein halbes Jahrhundert von bisher 2031 als Zielmarke auf das Jahr 2074 zu vertagen.
Problem Wiederaufbereitung von Atommüll
In den 1980er Jahren wurde mit dem Bau der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf (WAA Wackersdorf) begonnen. Standortwahl und Baubeginn fanden trotz massiven Widerstands in der Bevölkerung statt.
In dem Spielfilm Wackersdorf von 2018 ist der Hergang eindrucksvoll dargestellt und mit Original-Filmausschnitten dokumentiert. Der damalige Landrat des Landkreises Schwandorf Hans Schuierer wendete sich nach anfänglichem Optimismus (Arbeitsplätze für die Region) gegen den Bau der WAA Wackersdorf, weil er die gesundheitlichen und ökologischen Gefahren als gravierender einstufte. 1986 explodierte ein Reaktor im Atomkraftwerk Tschernobyl. Der Bau der WAA Wackersdorf wurde 1989 eingestellt.
Auf der Internetseite des Bundes kann man über den bis heute schwersten Unfall in der zivilen Nutzung der Atomenergie, die Havarie in Tschernobyl, nachlesen.
Künftige Kernfragen für die deutsche Öffentlichkeit und Wissenschaft
- Ist den Wissenschaftlern, die die Empfehlungen für Standorte abgeben müssen, nicht längst klar, dass eine sichere Atommüll-Lagerung über hunderttausende von Jahren nicht garantiert werden kann, sondern unverantwortbar ist?
- Will Deutschland, will die EU die Atomkraft wieder aufgreifen, ohne den Atommüll der vergangenen 60 Jahre in einem Endlager endgültig untergebracht zu haben? Andernfalls ist eine neuerliche Diskussion über Atomkraft absichtsvoll unvollständig.
- Wollen wir Erwachsenen unserer Jugend in Schulen tatsächlich beibringen, Atomkraft wäre „unter bestimmten Bedingungen“ nachhaltig? Ein Abfall, der bis zu 1.000.000 Jahre unter extremen Auflagen gesichert werden muss, kann niemals nachhaltig sein. Was macht es mit dem Bewusstsein der Bürger, wenn Regierungen, Lobbygruppen und Medien klar definierte Begriffe nach Belieben umdeklarieren?
- Die Stromindustrie konnte die Verantwortung für Gefahren und Kosten bezüglich Transport von Atommüll und Endlagerung 2017 an die Bundesregierung bzw. die Gesellschaft abgeben. Soll das eine sinnvolle Zukunftsgestaltung sein?
- Bürger jeder Stadt und jeder Gemeinde in Deutschland müssen sich klar werden: Leben sie künftig lieber neben einem Pumpspeicher-Kraftwerk, oder doch lieber neben einem Atomkraftwerk? Wohnen die Menschen lieber in der Nähe eines Windparks, oder doch lieber neben einer Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe aus Atomkraftwerken?
Empfehlungen
- Der einzelne kann sich in der eigenen Umgebung unabhängig von großen Stromverbräuchen machen. Dazu gehört auch eine Selbstbeschränkung in der Nutzung von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Bekanntermaßen erfordert steigende Datenmenge steigende Energieversorgung. Mit kreativem Interesse, Stromverbrauch klein zu halten, wird jeder Verbraucher Turbulenzen auf dem Strommarkt leichter überstehen und eine Versorgung mit grünem Strom eher ermöglichen. Die Reduzierung von Stromverbrauch gelingt ohne Sparzwang.
- Auf unserer Internetseite zeigen ausgeführte Projektbeispiele, dass Wohnkomfort und moderater Stromverbrauch sich nicht ausschließen. Kann jeder Verbraucher nicht sogar lernen, Lebensqualität von hohem Energieverbrauch zu entkoppeln?
- Die Vorstellung, allein eine Reduktion von CO2 hätte einen nennenswerten Einfluss auf das Klima der Zukunft, entspricht nicht dem Stand des Wissens und verengt teils sogar den Blick. Klimaschutz betrifft viele Lebensbereiche und vor allem Verhaltensweisen. Das Verhalten der Menschen in allen Lebensbereichen zieht Einflüsse und Wechselwirkungen nach sich, die eine Berücksichtigung in der Zukunft erfordern. Technik allein wird nicht ausreichen. Der Blick auf die Natur und die Atmosphäre der Erde muss weiter werden.
Quelle Photo
BASE.Bund.de : Mindestens zwei schwere Explosionen zerstörten den Reaktorblock 4 (Atomkraftwerk Tschernobyl 1986) © picture alliance / dpa
Weiterführende Informationen:
Berliner Zeitung 29.04.2023 Interview mit Wolfram König, damaliger Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung
Nach dem Abschalten der Atomkraftwerke: „Wir brauchen jetzt Durchhaltevermögen“
Berliner Zeitung 02.09.2024 Autor: Achim Brunnengräber
Die Absurdität des Atomzeitalters: Planlos im Umgang mit alten Kraftwerken und Atommüll?
Dieser Artikel wurde verfasst und veröffentlicht von Dipl.-Ing. Bernd Klane und Dipl.-Geoökol. Ursula Klane Dezember 2024
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